Verwurzelt
Familie Heikkonen kümmert sich seit vier Generationen um ihren Wald – und zwar so, dass er auch den nächsten Generationen erhalten bleibt.
Wer Finnland aus der Luft betrachtet, sieht vor allem eins: Wald. Etwa 70 Prozent des Landes sind bewaldet. Das ist so viel wie in keinem anderen europäischen Land. Im Osten Finnlands, kurz vor der russischen Grenze, mitten in der finnischen Seenplatte liegt das Dorf Punkaharju. Wer von dort aus noch 25 Kilometer weiter nach Süden fährt, kommt am Wald von Jukka Heikkonen vorbei.
Jukka Heikkonen ist einer von hunderttausenden finnischen Waldbesitzern: 60 Prozent des finnischen Waldes sind im Privatbesitz. Wie so viele finnische Familien bewirtschaftet auch die Familie Heikkonen ihren Wald heutzutage nicht mehr selbst. Heikkonen kümmert sich hauptsächlich um die kleinen Ferienhäuser, die er in seinem Wald vermietet. Einmal im Jahr kommt dann eine Firma, die bestimmte Flächen des Waldes rodet. Welche Bäume das sind und wie viele, entscheidet Heikkonen aber noch selbst.
Inzwischen lebt er allein mit seinen Eltern im Wald – seine Brüder sind mit ihren Familien in die Stadt gezogen. „In zehn Jahren werde ich bestimmt der einzige hier in der Gegend sein. Alle wollen in der Stadt wohnen“, glaubt Heikkonen. Aber er will bleiben. Hier ist er groß geworden und hat schon als kleiner Junge gelernt, den Wald zu verstehen.
Bei Forst-Wettbewerben musste Jukka Heikkonen zum Beispiel mit bloßem Auge und einem speziellen Stab kalkulieren, wie viele Kubikmeter Holz auf einem bestimmten Waldstück stehen. Und er wurde gefragt, ob der Wald gesund ist und welche Bäume bald gefällt werden können. Wie früher bei den Wettbewerben geht Jukka Heikkonen auch heute durch den Wald und prüft all diese Dinge.
Mithilfe der sogenannten Winkelzählprobe kann Heikkonen genau berechnen, wie viele Kubikmeter Holz hier wachsen. Ein Kubikmeter Holz bindet etwa eine Tonne CO2. Denn jeder einzelne Baum versorgt seine Umwelt mit Sauerstoff und speichert CO2.
Aus dem Holz von Jukka Heikkonen wird zum Beispiel auf dem Gelände der finnischen Botschaft in Tokio ein Pavillon gebaut. Er soll als Treffpunkt für die Sportler*innen bei den Olympischen Spielen 2020 genutzt werden. Die Metsä Group, Finnlands größtes Forstwirtschaftsunternehmen, kauft Heikkonen sein Holz ab und kümmert sich um die Verarbeitung. Das Unternehmen verwertet allerdings nur die Stämme und nicht die dünneren Äste. Solche Nebenprodukte verkauft Heikkonen daher an eine Firma, die daraus Kämme, Strohhalme oder Eierbecher herstellt und damit Plastikprodukte ersetzt.
Die Finnen nennen ihre Wälder grünes Gold. Die Versuchung, einfach den gesamten Wald zu roden und das Holz auf einen Schlag zu verkaufen, ist für Waldbesitzer wie Jukka Heikkonen groß. So ließe sich schnell viel Geld machen. Das wäre aber weder aus ökonomischer noch aus ökologischer Perspektive nachhaltig. Wenn nach dem Fällen keine neuen Bäume gepflanzt werden und somit Wald verloren geht, spricht man von Entwaldung. Es kommt außerdem darauf an, wann ein Baum gefällt wird. Junge Bäume absorbieren weniger CO2 als etwas ältere. Je älter ein Baum ist, wenn er gefällt ist, desto mehr CO2 ist in ihm gespeichert.
Die finnische Regierung hat keinen direkten Einfluss darauf, wann und wie häufig die Besitzer ihre Bäume fällen. Die finnische Umweltministerin Terhi Lehtonen will deshalb finanzielle Anreize schaffen, Wälder älter werden zu lassen und selektiver zu fällen. Jukka Heikkonen braucht keine solchen Anreize. Seine Bäume sind ohnehin im Schnitt 70 Jahre alt, wenn er sie fällt. Und pro gefälltem Baum pflanzt er vier neue Setzlinge. Das ist nötig, damit mindestens einer zu einem ebenso alten Baum heranwachsen kann. Denn Jukka Heikkonen hofft, dass sein Wald auch den nächsten Generationen ein jährliches Einkommen sichert.